Austanzen Poppenricht
Foto: Mike Radowsky | Landkreis Amberg-Sulzbach

Kulturerbe: Oh Kirwa, lou niad nou!

Die traditionelle Oberpfälzer Kirwa liegt seit einigen Jahren wieder voll im Trend. Doch nirgends wird dieser Brauch so gelebt wie im Landkreis Amberg-Sulzbach – dem „Land der 100 Kirwafeste“. Deren Bedeutung hat man auch in München erkannt und die Kirwan als Immaterielles Kulturerbe Bayerns geadelt.

„Wer hout Kirwa?“ ist eine Frage, die im schönen Amberg-Sulzbacher Land in den Monaten von April bis November besonders oft gestellt wird. Denn nirgends wird diese althergebrachte Oberpfälzer Tradition so gelebt wie hier. Nicht umsonst nennt man den Landkreis auch das „Land der 100 Kirwafeste“. Inzwischen sind es sogar schon mehr als 120 verschiedene Kirchweihen. Für die Dorfbewohner:innen ist es oft das wichtigste Fest im ganzen Jahr.

Was macht die Kirwa so besonders?

Bei der Kirwa (Kirchweih) geht es nicht nur um Bier trinken und Party machen. Es geht vor allem auch um gelebte Tradition, die mit vielen Bräuchen, strengen Ritualen, bunten Trachten und besonderen Liedern verbunden ist. So hat im Landkreis Amberg-Sulzbach fast jedes Dorf seine eigene Kirwa. In dieser ausgeprägten Vielfalt ist das in der Region wohl einzigartig. Drei Tage wird dann auf dem Dorfplatz gefeiert, in der Regel von Samstag bis einschließlich Montagabend.

Im Mittelpunkt steht dabei der Kirwabaum, sowie die Kiwaburschen und Kiwamoila. Viele unverheiratete junge Männer und Frauen aus dem jeweiligen Dorf, die über 16 Jahre alt sind, bilden für die Dauer des Festes ein Paar. Sie kümmern sich dann nicht nur darum, dass der Baum schön verziert und geschmückt wird, sondern sorgen auch dafür, dass er bis zum traditionellen „Austanzen“ am Sonntagnachmittag nicht zu Schaden kommt. Solange könnte das Prachtstück nämlich von anderen Dorfgemeinschaften gestohlen, angesägt oder anderweitig verunstaltet werden. Der Verlust oder die Beschädigung des Kirwabaums gilt als gößte Schmach überhaupt – und kann teuer werden.

Kriwabaum PoppenrichtDas Herzstück jeder Kirwa: der reich verzierte und geschmückte Kirwabaum. Foto: Mike Radowsky | Landkreis Amberg-Sulzbach

Tanzen und Gstanzln

Nach einem Gottesdienst am Sonntagvormittag steuert die Kirwa auf ihren Höhepunkt zu: Mit Kutsche oder Traktor samt Anhäger ziehen die Burschen los, um ihre Moila zum Austanzen des Kirwabaums „einzuholen“. Schon auf dem Weg werden verschiedene traditionelle Lieder angestimmt, die von Liebe, Lust und Leben erzählen. Die Kirwapaare tragen dabei selbstverständlich Dirndl und Lederhosen – die Männer in einigen Ortschaften sogar die Original Oberpfälzer Tracht, bestehend aus schwarzer Anzughose, weißem Hemd und Hut.

Am Dorfplatz angekommen beginnt das „Baum austanzen“ rund um das Wahrzeichen der Kirwa. Getanzt wird zu Blasmusik und der Tanz des „Baierischen“, einem speziellen Tanz mit unvermittelten Rhythmuswechseln, darf nicht fehlen. Bei einem dieser Tänze wird außerdem das neue „Oberkirwapaar“ bestimmt. Das funktioniert ein bisschen wie die „Reise nach Jerusalem“. Während des Tanzens wird ein Blumenstauß weitergegeben. Das Paar, das beim Klingeln eines Weckers oder beim Stoppen der Musik den Strauß in der Hand hält, ist für ein Jahr Oberkirwabursch und Oberkirwamoidl. Eine große Ehre, die für das kommende Jahr aber auch ein paar Verpflichutngen mit sich bringt.

Während des Austanzens werden oft auch die sogenannten Gstanzln zum Besten gegeben: freche Reimgesänge, in denen gerne auch mal aktuelle Ereignisse oder Personen aus dem Dorf aus Korn genommen werden.

Ein Alleinstellungsmerkmal für den Landkreis

Die Amberg-Sulzbacher:innen lieben ihre Kirwan und sind auf diese Tradition mächtig stolz. Seit einigen Jahren laufen deswegen im Landkreis und vor allem auch im Landratsamt viele Bemühungen, dieses Alleinstellungsmerkmal hervorzuheben. Das erklärte Ziel: die die lebendige Kirwa-Tradition von der UNESCO würdigen zu lassen. Ende Januar 2023 gibt es dann auch endlich diesen heiß eresehnten und hart erarbeiteten Ritterschlag: Die Kirwan im Amberg-Sulzbacher Land werden im Bayerischen Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

„Die traditionellen Kirwan stehen für unseren Landkreis und seine Bewohner:innen. Kirwan sind ein bedeutender Bestandteil unserer Heimat und sie stehen auch für das soziale Miteinander und das Wir-Gefühl, auf das es in der aktuell schwierigen Zeit auch ankommt.“Landrat Richard Reisinger

Gut 550 Arbeitsstunden haben Tourismusfachwirtin Regina Wolfohr und Kreisheimatpfleger Dieter Kohl für die Zusammenstellung der Bewerbungsunterlagen investiert. Gründliche Recherchen in den hiesigen Archiven in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Archivaren waren die ersten Schritte. Parallel dazu wurde ein detaillierter Fragebogen für die Bevölkerung erstellt. Die Umfrageanalyse brachte einige Erkenntnisse, die in die Bewerbung mit einfließen konnten. Die Bürger schickten unter anderem alte Fotos, Zeitungsartikel, Plakate, Speisekarten und Ausschnitte aus Chroniken ein, die für die Rekonstruktion der Kirwa-Historie von großer Bedeutung waren.

Kinder auf Kirwa in RosenbergFür viele Dorfbewohner:innen ist die Kirwa das wichtigste Fest im Jahr. Foto: Mike Radowsky | Landkreis Amberg-Sulzbach

Eigener Kalender sorgt für den Überblick

Im Landkreis Amberg-Sulzbach gibt es übrigens auch einen eigenen Kirwakalender, damit man bei der Vielzahl an Festen nicht den Überblick verliert. Und man geht natürlich auch hier mit der Zeit: Den Kalender kannst Du Dir nämlich ganz einfach als App auf Dein Smartphone holen. 2008 hat die Kirwa von ihren Anhänger:innen außerdem ein eigenes Denkmal bekommen, das seitdem in der Nähe des Landratsamtes bei der Stadtbrille in Amberg zu finden ist.

Austanzen Poppenricht TrachtDie traditionelle Oberpfälzer Tracht der Männer besteht aus einer schwarzen Anzughose, weißem Hemd und einem Hut. Foto: Mike Radowsky | Landkreis Amberg-Sulzbach

Immaterielles Kulturerebe

  • Die Unesco stellt seit 2003 im Rahmen des „Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes“ kulturelle Ausdrucksformen in den Fokus der Öffentlichkeit – darunter den spanischen Flamenco, die japanische Puppentheatertradition oder die iranische Teppich-Knüpfkunst.
  • In der Bundesrepublik Deutschland ist das Übereinkommen 2013 in Kraft getreten. Zentraler Bestandteil der Umsetzung ist die Einrichtung eines Bundesweiten Verzeichnisses des Immateriellen Kulturerbes, in dem sich mittlerweile 131 Einträge befinden. Neben dem Bundesweiten Verzeichnis führt der Freistaat ein eigenes Landesverzeichnis. Darin werden alle Bewerbungen aufgenommen, denen das Bayerische Expertengremium die Erfüllung der Kriterien des UNESCO-Übereinkommens attestiert.
  • Neben den Kirwan im Amberg-Sulzbacher Land wurden auch der Evangelische Hochzeitszug aus der ehemaligen Grafschaft Wertheim (Unterfranken) und das Neustadter Kinderfest (Oberfranken) in das Bayerische Landesverzeichnis aufgenommen. Die Neueinträge zeigen: Bayern ist kulturell reich an Bräuchen, Festen, Musik und Tanz, traditionellen Handwerkstechniken und überliefertem Wissen. Mit den Neuaufnahmen umfasst das Bayerische Landesverzeichnis nunmehr 69 Einträge.
  • In der Oberpfalz gehören bereits der Further Drachenstich sowie die Teichwirtschaft im Landkreis Tirschenreuth zum Immateriellen Kulturerbe.

Nicht nur die Bewohner:innen des Landkreis Amberg-Sulzbach, auch der Rest der Oberpfalz versteht es zu feiern. Mehr dazu erfährst Du in unserem kleinen Video: 

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Nina hat den Überblick: über die Inhalte auf unserer Website und unsere Social-Media-Profile. Wenn sie dann aber doch mal genug vom Digitalen hat, genießt sie die Schönheit der Oberpfalz ganz analog – am liebsten vom Wasser aus: Die gebürtige Ambergerin paddelt leidenschaftlich gerne auf dem SUP – zusammen mit ihren beiden Söhnen.