Maria Rammelmeier bringt Kultur aufs Oberpfälzer Land
„Liebe o. Bier “, steht da auf dem Klingelschild neben der Wohnungstür, ganz oben unter dem Dach des alten Hauses. „Aber Hallo! Ich bin ganz klar für die Liebe“, sagt Maria und lacht, während sie die Tür zu ihrer Wohngemeinschaft irgendwo mitten in der Regensburger Altstadt öffnet.
Für die junge Frau mit den dunklen Locken müsste der Tag eigentlich 48 Stunden haben. Denn trotz Lockdown ist die To-Do-Liste der Doktorandin lang: das Programm für die nächste Saison im Kulturstadel Lauterhofen vorbereiten, ein neues Stück auf der Kirchenorgel einstudieren, auf dem Hof der Familie mithelfen und weiter an der Doktorarbeit schreiben. Als Maria sich auf das Fensterbrett setzt und überlegt, was sonst noch ansteht dieses Wochenende, geht plötzlich das Radio aus. Der Strom ist weg.
„Ich habe den Ofen diesmal nicht angemacht“, ruft Maria ihrem Mitbewohner zu, der in der Küche nach dem Fehler im System sucht. Sie zuckt mit den Schultern und schaut aus dem Fenster auf die Dächer der Altstadt: „Irgendwas ist ja immer. Aber das Gute ist, dass es noch hell ist draußen, weil Kerzen hätte ich jetzt wahrscheinlich keine da.“ In ihrem WG-Zimmer gibt es nicht viel Mobiliar außer einem Schreibtisch, einem Stuhl, einem Bett und einem Schrank. Und trotzdem fühlt es sich gut an, vielleicht ist es die Aussicht, vielleicht die rote Herzbordüre, vielleicht aber auch der selbstgeschriebene Spruch „sprudeln lassen“ an der weißgetünchten Wand.
„Für mich ist Heimat nämlich nicht nur ein Ort, sondern vor allem die Menschen, die mich umgeben.“Maria Rammelmeier
„Es soll sich ja auch gut anfühlen hier, das ist ja schließlich mein Feriendomizil“, sagt die Doktorandin und lacht wieder. „Daheim ist woanders. Ich bin quasi multilokal unterwegs, wie das vielleicht in der Wissenschaft heißen würde.“
In dem WG-Zimmer übernachtet sie, wenn sie an der Uni arbeitet oder in Ruhe an ihrer Doktorarbeit zum Thema Engagement für lebendige Regionen – wie kann Regionalmanagement kulturelles Engagement stärkenschreiben will. Daheim ist sie aber im Landkreis Neumarkt, auf dem Hof der Familie und im Kulturstadel Lauterhofen.
„In der Oberpfalz geht das nämlich alles: Ich habe wissenschaftlichen Anschluss, kann aber auch bei meiner Familie im Dorf sein und dort die Kultur fördern“, erklärt Maria, die ein echter Familienmensch ist. „Für mich ist Heimat nämlich nicht nur ein Ort, sondern vor allem die Menschen, die mich umgeben.“
Eine neue Perspektive
Nichtsdestotrotz wagt Maria nach dem Abi den Schritt hinaus in die Welt und den Blick über den regionalen Tellerrand. „Neue Eindrücke und Impulse sind super wichtig, sie öffnen den Geist und schaffen neue Perspektiven“, sagt sie. Nach ihrem Studium in Nürnberg zieht es die Sozialpädagogin nach Berlin-Neukölln. Der Berliner Bezirk ist ein kultureller Schmelztegel, 47 Prozent der Bewohner:innen haben einen Migrationshintergrund. Dort betreut Maria Jugendliche in einem Mädchentreff. „Das Leben in Neukölln ist so ganz anders. Bunt, laut, spannend und auf Dauer stressig“, erinnert sich die Oberpfälzerin. Die beruflichen Erfahrungen haben sie geprägt, in der Stadt hat sie viel Neues kennengelernt, vor allem die kulturellen sowie kulinarischen Angebote hat die Fast-Veganerin genossen: „Ich liebe das bayerische Essen, aber die Geschmäcker aus aller Welt, die Du in Berlin an jede Straßenecke bekommst, sind auch fantastisch.“
Das Beste daran sei aber, so Maria, dass man die exotischen Gerichte hervorragend mit regionalen Produkten aus der Oberpfalz kochen kann. „Sushi kann man super mit Mangold anstatt mit Algenblatt zubereiten“, erklärt Maria, die übrigens nur dann Fleisch isst, wenn es vom Hof der Eltern kommt. Auch frisches Gemüse aus dem eigenen Garten sei nicht mit den Waren aus dem Supermarkt zu vergleichen, auf die sie zwangsweise in der Stadt zurückgreifen musste. „Ich bin nicht nur Familienmensch, sondern auch Landmensch. ich brauche nicht nur das Grün im Teller, sondern auch vor der Haustür, um runterzukommen.“
So packt sie ihren Koffer in Berlin und kehrt zurück in die Heimat, engagiert sich in Neumarkt für Flüchtlinge und erkennt auf einem Roadtrip quer durch die USA, dass sie sich akademisch weiterbilden will: „Wenn Du 12.000 Kilometer quer durch eine endlose Weite fährst und immerzu in die Landschaft schaust, reflektiert Du einfach. Überlegst Dir, was Du vom Leben willst.“ Zurück in Deutschland bewirbt sie sich erfolgreich um ein Stipendium im Promotionsprogramm „Dörfer in Verantwortung“ an der Universität Hannover. Ziemlich weit weg, oder? „Ich habe aber von Anfang an klargestellt, dass ich nicht dorthin ziehen werde, sondern hier in der Oberpfalz wohnen bleibe.“
Gesagt, getan. Aktuell finalisiert sie ihre Doktorarbeit und steckt viel Herzblut in das Familien-Projekt, den Kulturstadel Lauterhofen. „In unserer Kleinkunstbühne sind die Kompetenzen gut verteilt – und die ganze Familie gefragt“, erklärt sie das Konzept.
Kleinkunst statt 0815-Programm
Die Idee für den Kulturstadel Lauterhofen hatte Marias Mutter, die seit rund 13 Jahren im Kulturstadel die Gäste bekocht. Ihr Vater braut Bier, die Schwester ist Produktdesignerin und kreiert sämtliche Grafiken,Maria kümmert sich um das Bandmanagement und außerdem gehört die Presse- sowie Öffentlichkeitsarbeit zu ihren Aufgaben. „Wir haben schon den Anspruch unseren Gästen ein besonderes Programm zu bieten, keine 0815-Shows“, erläutert Maria die Programmauswahl.
„Du brauchst halt schon irgendwie einen richtigen Vogel, wenn Du auf dem Land Kunst machen willst.“Maria Rammelmeier
Mit Kultur auf dem Land beschäftigt sich die Wissenschaftlerin nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch in ihren Forschungen. Dabei ist ihr aufgefallen, dass oftmals Zugezogene oder Rückkehrer Kultur auf dem Land machen: „Kulturschaffende müssen anstacheln und den Mut haben, Dinge anders zu sehen und anders zu machen.“ Sie lacht und zitiert aus ihren Forschungen: „Du brauchst halt schon irgendwie einen richtigen Vogel, wenn Du auf dem Land Kunst machen willst.“ Das meint die passionierte Kirchenmusikerin aber positiv, ein bisschen Verrücktheit schade nie.
„Es gibt viele Gründe, warum wir unsere Kleinkunstbühne lieber auf dem Land betreiben, als in der Stadt, wo alle sind“, sagt sie. „Ich schätze vor allem die soziale Nähe und kurzen Wege auf dem Land. Das macht viele Dinge einfacher und unkomplizierter.“
Liebe ist Alles
Mittlerweile läuft das Radio wieder in der WG, der Mitbewohner hat das Stromversorgungsproblem gelöst. „Top Mann, nur bringt mir das jetzt nichts mehr, weil ich jetzt gleich nach Hause fahre. Am Wochenende ist Bierverkauf im Kulturstadel“, sagt sie, packt ihren Laptop ein, verabschiedet sich vom Mitbewohner und schließt die Wohnungstür hinter sich. Ihr Blick bleibt an dem Klingelschild „Liebe o. Bier“ hängen. „Warum ich für die Liebe bin? Weil die Liebe Alles ist – und noch besser ist Alles mit einem Bier“, sie lacht und macht sich auf den Heimweg.
Zum Glück (zurück)
Maria Rammelmeier ist Teil des Projekts „Zum Glück (zurück)“. In dieser 18-teiligen Serie stellen wir Oberpfälzer vor, die ganz bewusst nach einem Blick über den Tellerrand und einer Zeit außerhalb der Region zurückgekehrt sind.
Gefördert durch Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie
Als Kind der 80er konsumierte das damalige Army Brat so ziemlich alles, was die Kinoleinwände zwischen der good ol’ Oberpfalz und Fort Knox so hergaben. LADY OSCAR, und DIE DREIBEINIGEN HERRSCHER stellten die Weichen für ihr Berufsleben: Nach einem Volo frönte sie den Film- & Literaturwissenschaften in Berlin und arbeitete für verschiedene Medien.