
Alt und doch modern: ein Märchenschatz aus der Oberpfalz
Zwöi Kopf und koin Fouß
Im Bamawold dao hobm zwöi Kuln brennt. Äitz is read kolt gwest und san all-zwöi in Rock grochn und oina haot n Kuapf unt und da anda uabn assegreckt und sua sans neban Mala glegn.
So lautet der Beginn des Märchens „Zwei Köpfe und kein Fuß“ im Oberpfälzer Dialekt zu Zeiten des Autors Franz Xaver von Schönwerth (1810 -1886). Selbst für Oberpfälzer, die des Dialektes mächtig sind, keine einfache Lektüre. Im aktuellen Buch „Oberpfälzer Märchen“ hat die Herausgeberin Erika Eichenseer die Texte für die heutige Zeit bearbeitet. Und zwar so feinfühlig, dass die Erzählkultur des 19. Jahrhunders nicht verloren geht, aber die Sprache dem heutigen Gebrauch angepasst ist.
Und so liest sich dann der Anfang des Märchens „Zwei Köpfe und kein Fuß“ in der bearbeiteten Fassung:
Im Böhmerwald sind, weil es so kalt war, zwei Kohlenbrenner in einen
ihrer Überzieher geschlüpft, der eine mit dem Kopf oben, der andere unten raus.
Zaubermärchen, Tiermärchen, Sagenmärchen, Legendenmärchen, Mythen und Schwankmärchen, so lauten die Kategorien, in die Erika Eichenseer die Erzählungen im Buch einteilt, 119 Märchen sind es insgesamt. Darunter auch „Prinz Roßzwifl“, wohl einer der bekanntesten Texte von Schönwerth und Titel der ersten Ausgabe von einigen handschriftlich überlieferten Märchen.
Der Roßzwifl (Mistkäfer) ist übrigens auch als Skulptur in Sinzing im Landkreis Regensburg anzutreffen, bei einem der vier Schönwerth Märchenpfade. Der etwa 400 Meter lange Pfad beschäftigt sich mit den Schönwerth-Märchen und lädt die Besucherinnen und Besucher ein, sich mit den Märchen und dem Autor selbst näher zu beschäftigen.
Schönwerth-Erzählungen: Zeugnis der Kulturgeschichte
Über 500 authentische Erzählungen hat die Pädagogin, Heimatpflegerin und Autorin Erika Eichenseer im Nachlass von Franz Xaver von Schönwerth im Jahr 2009 entdeckt. Bis dahin war der Heimatforscher und Sammler, der in Amberg geboren wurde, weitestgehend vergessen. Eichenseer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Texte zu sichten und in mehreren Editionen herauszugeben. So wie hier im Buch „Oberpfälzer Märchen“. Somit ist ein großer Schatz gehoben und für kommende Generationen erhalten worden.
Wir haben Erika Eichenseer gefragt, warum sie sich so für Franz Xaver von Schönwerth begeistert.
Oberpfalz Marketing: Frau Eichenseer, was hat Sie an den Texten von Franz Xaver von Schönwert so fasziniert?
Erika Eichenseer: Die Märchen sind so belassen, wie sie im Original aufgeschrieben worden sind. Schönwerth schreibt: „Ich ging zu Leichenwärtern, zu frommen Bauersleuten, die als Volkserzähler einen guten Ruf haben, aber meist tröpfelte es ganz armselig, wenn ich diese Ader anzapfte…“ Also ehrlich gesammelt, nicht abgeschrieben. Immer wieder wird die erdige, volltönende Sprache gelobt, die Texte sind schlüssig und geben Ratschläge, beginnend bei der schwierigen Zeit der Pubertät. Für mich ist klar, dass diese Märchen keine Kindergeschichten sind. Und die Vorwürfe, dass man Märchen den heutigen Kindern nicht vorsetzen sollte wegen ihrer grausamen Passagen, fallen ins Leere, sind ein Zeugnis dafür, dass diese Leute von Märchen nichts verstanden haben. Gefährliche Tiere, versteinerte Personen oder Herausforderungen sind Statthalter für Gefahren in der jeweiligen Generation, reichen also bis ins moderne Zeitalter hinein. Alkoholismus, Drogen, Faulheit, Sattheit sind diese Anfechtungen auch heutzutage. Sie können nur durch Mut, Tapferkeit, Ehrlichkeit, Treue und Liebe überwunden werden. Auch heute. Das ist die Botschaft der Märchen.
Sie sind selbst keine gebürtige Oberpfälzerin. War es für Sie nicht besonders schwer, die Texte überhaupt zu lesen?
Wenn ich nicht so gern in der Oberpfalz leben würde, wenn ich diese Mundart – einer der ältesten in ganz Deutschland – nicht so schätzen würde, dann vielleicht schon, aber ich habe mich durchgearbeitet auf der Suche nach diesem alten Kulturgut und die versteckten Schönheiten gefunden. Diese Sprache ist Musik, sie geht direkt ins Herz.
Welches ist Ihr persönliches Lieblingsmärchen?
Schwer zu sagen, weil es so viele sind, die ich so gern erzähle, weil sie ein Kernaussage haben, die den Menschen auch heute noch etwas geben können,
z.B. „Das fliegende Kästchen“, wo der zu Tode gelangweilte, untätige Königssohn auf dem Kästchen von allem davonfliegt, was ihn hemmt, er selbst zu werden. So lernt er die Menschen, das Arbeiten und sich selbst kennen.
Oder z.B. „Das Wieserl“, ein Tiermärchen voll Charme und dem Auftrag, den Tieren wie auch den Pflanzen mehr zuzutrauen, als man das landläufig tut.
Oder auch die Schauermärchen, die neben dem wohligen Gruseln auch ein Schmunzeln erlauben und die Mythen mit ihrer unendlichen Tiefe und ihrem heiligen Ernst.
Worin sehen Sie die Berechtigung und den Sinn, sich auch in der heutigen, modernen Zeit, mit alten Märchen zu beschäftigen?
Weil die Botschaft, die von den Märchen ausgeht, lebensbejahend ist, auch schon deshalb, weil sie alle gut ausgehen. Sogar bei dem düsteren Rattenfänger, der für mich eine menschliche Katastrophe ist, gibt es bei Schönwerth ein gutes Ende. Natürlich kommen die Kinder aus dem Felsengrab wieder heraus! O-Ton Schönwerth: Diese Geschichte ist nicht nur in der Oberpfalz erzählt worden. Von Hameln kein Wort. Fundort: Tirschenreuth.
Sie haben einen großen Teil Ihres Lebens und Ihrer Zeit nicht nur in die Texte von Schönwerth, sondern auch in die Gründung der Franz Xaver von Schönwerth Gesellschaft gesteckt: Warum liegt Ihnen das ganze Thema so am Herzen?
Weil es so eine große Auszeichnung ist, dass wir in dieser kleinen Oberpfalz so einen überragenden Forscher und Sammler haben, den nach wie vor nur wenige kennen. Sein Werk ist umfassend, denn es sind ja nicht nur Geschichten, sondern die gesamte Volkskunde der Oberpfalz erforscht bis in die Wurzeln und beschrieben, auch Redensarten, Sprichwörter, Himmel und Hölle, Tod und Teufel. Und das ist auch die Zielsetzung dieser Gesellschaft, seine Botschaft zu verbreiten auf jede mögliche Weise. Unsere vier Märchenpfade sind ein lebendiges Zeugnis für die Qualität dieser Sammlung.
Über die Autorin
Erika Eichenseer wurde 1934 in München geboren und ist eine Institution für Mundartlyrik und -texte. Die Pädagogin, Heimatpflegerin und Autorin hat zusammen mit ihrem Mann, Dr. Adolf Eichenseer (1934–2015), Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, die Schönwerth-Gesellschaft e. V. gegründet. Neben der Arbeit an den Schönwerth-Texten hat sie viele Oberpfälzer Autoren- und Laienschauspielgruppen betreut und Kurse gegeben.
„Schönwerth. Geschichten zwischen Fiktion und Realität“. Mit diesem Stück ist Franz Xaver von Schönwerth im Marionettentheater Schwandorf vertreten. Erika Eichenseer hat ebenfalls ihren Auftritt auf der Bühne. Als Figur der Erzählerin wurde eine Marionette nach ihrem Abbild geschaffen. „In ihrer freien Nacherzählung erweckt Sie die mythologische Oberpfalz zu neuem Leben“, steht in der Beschreibung des Stücks geschrieben.
Über das Buch
Der Titel „Oberpfälzer Märchen. Franz Xaver von Schönwerth“ von Erika Eichenseer ist im Battenberg Gietl Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro. Erhätlich ist das Buch im Onlineshop des Verlags oder im Buchhandel vor Ort.